Diptychonflügel
Obwohl der Erzengel Michael sowohl in der Ost- als auch in der Westkirche häufig dargestellt worden ist, sind die Darstellungsinhalte nicht gleich. Das Abendland bevorzugt die Darstellung als Drachentöter, während der Osten bei der schon in frühchristlicher Zeit anzutreffenden Darstellung des Michael als Repräsentant des Himmels, als Wächter des Himmelreiches bleibt. In dieser Gestalt tritt er auch auf einem Elfenbeinflügel des 5./6. Jahrhunderts, der im British Museum London aufbewahrt wird, dem Betrachter entgegen. Michael steht unter einem rundbogigen Durchgang, den seine breit entwickelte Gestalt füllt. Michael greift sogar mit den Händen, in denen er die Kosmoskugel mit Kreuz und ein langes Zepter hält, über dessen Gewände hinweg. Doch fallen bei genauerer Betrachtung Unstimmigkeiten bei den Architekturdetails auf. Der Erzengel scheint - in Höhe seines Oberkörpers betrachtet - vor dem Durchgang zu stehen, er scheint - in Höhe der Füße und der Stufen betrachtet - hinter dem Durchgang zu stehen. Da seine Füße über drei Stufen reichen, kann er eigentlich gar nicht stehen, sondern nur schweben. Irdisches Verhaftetsein ist konsequent vermieden. Der Erzengel ist Repräsentant des Himmels. Die Elfenbeintafel wird als Diptychonflügel angesprochen. Doch wie sah das Pendant aus? Eine eindeutige Aussage hierzu ist leider nicht möglich, doch bleibt festzuhalten, daß die Art der Darstellung ihre Entstehung dem kaiserlichen Repräsentationsbild verdankt, so daß eine "Herrscherdarstellung" (vgl. die Anordnung auf dem Buchdeckel im Museo Sacro Vaticano) naheliegend ist.